Der Blaue Reiter – Kunst und Gefühl
„Der Blaue Reiter“ zählt heute zu den wichtigsten Strömungen in der klassischen Moderne, die kurz vor dem Ersten Weltkrieg in München die Menschen in Aufruhr versetzte, und somit eine neue Ära in der Kunst einläutete. Leider dauerte es über ein halbes Jahrhundert, bis die bekannten Werke von der Gesellschaft wahrgenommen wurden, denn der Krieg unterbrach die auflodernde Kreativität und die Nachkriegszeit rief erstmals existenzielle Probleme hervor, die bewältigt werden mussten.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die erste Ausstellung in München, im Haus der Kunst, 1949 mit dem Titel „Der Blaue Reiter. München und die Kunst des 20. Jahrhunderst von 1908-1914“ eröffnet.
Gabriele Münter, die ein wesentliches Mitglied der Blaue Reiter Ära war, stellte aus ihrem Besitz viele der ausgestellten Bilder zur Verfügung. Und so nahm die epochale Blaue Reiter Bewegung ihren Weg in die Öffentlichkeit und das weltweite Interesse wurde geweckt.
Eingangs möchte ich anmerken, dass man sich die historischen Begebenheiten anderweitig durchlesen kann. In dieser Abhandlung werde ich explizit die Faszination dieser Maler und ihrer Kunst erläutern und welchen Einfluss dies auf mich hatte:
Als ich nach München kam, wollte ich viel von dieser Stadt entdecken und da Kunst schon immer eine große Magie auf mich ausgeübt hatte, deklarierte ich den Sonntag als meinen persönlichen Kunsttag. Jeden Sonntag verschlug es mich entweder in die Neue Pinakothek, Alte Pinakothek oder das Lenbachhaus (die anderen Museen sind hier nicht minder wichtig). Für das Lenbachhaus besaß ich sogar eine Jahreskarte, denn sie enthielt die größte Blaue Reiter Sammlung. Am Morgen des Sonntags ließ ich mich von meinem Gefühl leiten, ob ich heute auf die Moderne Kunst, die Kunst der Renaissance, des Barocks oder doch auf den Expressionismus Lust verspürte. Ich entschied dies nach meiner Gemütsverfassung. Renaissance und Barock waren für mich die Dekadenz der Kunst. Das Aufleben der Antike, das Opulente, das Pompöse, den Hang zur Theatralik genoss ich besonders in Phasen der Aufmunterung. Sie zauberten mir ein Lächeln, wenn ich den „Höllensturz der Verdammten“ von Paul Peter Rubens sehe oder „Trinkender Bacchusknabe“ von Guido Reni denke.
Doch wenn ich meiner Melancholie mehr Raum geben und sie in Farben beschreiben könnte, so würde ich die Bilder der „Blauen Reiter“ zum Ausdruck bringen. Der Blaue Reiter gehört zum Expressionismus, der Natur im Gegensatz zur Romantik oder Naturalismus als individuale und groteske Ausdruckskunst hervorhebt. Der freie Umgang der Farbe und der Formen, der das Gefühl des Erlebens im Betrachter wecken soll. Im Grunde haben die Künstlergruppen wie der „Blaue Reiter“ oder „die Brücke“ versucht, die alten Formen zu sprengen, welche man auch historisch in die Zeit des ersten Viertels des 20. Jahrhunderts einbetten muss.
Das Lenbachhaus war in diesen Momenten für mich die erste Anlaufstelle. Ich stand gerne vor den Bildern „Tiger, „das Äffchen“ oder „Rotes und Blaues Pferd“. Mich fesselte der Farbverlauf, die Sprengung der Linien, das Fließende und das Brüchige, welches durch diese Gegensätze in sich stimmig waren. Es rief in mir ein Gefühl der Realität auf, meiner Realität, die unendliche Suche nach der Wahrheit. Die Trauer, die sich hinter dem Schönen verbirgt, die zum Angriff bereit ist, aber sich zugleich auch verstecken möchte, um nicht in ihrer vollen Pracht zu schockieren. Ein Kraftaufwand jenes gleichen, den man auch in der Natur wiederfindet.
Ich möchte es in den Worten Franz Marcs ausdrücken, die einen inneren Tumult bis hin zu einer Metamorphose beim Betrachten eines Bildes auslösten:
„Die Kunst ist heute nicht mehr dazu da, den Menschen zu großen oder kleinen Vorwänden zu dienen. Die Kunst ist metaphysisch, wird es sein; sie kann es erst heute sein. Die Kunst wird sich von Menschenzwecken und Menschenwollen befreien“.
Marc fühlte sich der Natur sehr verbunden und das Tier stand im Mittelpunkt seiner Malerei. Wassily Kandinsky, der ebenfalls ein wichtiges Mitglied der besagten Kunstgruppe war, beschrieb ihn folgend: „Marc hatte allgemein direkte Beziehungen zur Natur, wie ein Bergbewohner oder gar ein Tier. Ich hatte manchmal den Eindruck, dass die Natur befriedigt war, ihn zu sehen… und das Tier war für ihn immer nur eines der Elemente des Ganzen, oft sogar nicht einmal ein wesentliches.“
Der geistige Gehalt in den Bildern der „Blauen Reiter“ lässt sich nur schwer erklären. Es scheint, als erführe man durch das Betrachten eines Bildes eine sonderbare Botschaft, die dem rationalen Denken unzugänglich ist, aber an das innere Seelenleben anklingt. Die Wahrheit verschiebt sich zur früheren Wahrheit, wodurch sie diese aber nicht ausmerzt, sondern bereichert. Eine innere Erfahrung, man sieht die Farben, die Verläufe, versucht zu entschlüsseln. Das Gehirn arbeitet und dieser Ausdruck verhärtet sich und hinterlässt Spuren, die einen ein Stück weiser machen.
Das Bild lässt mich nicht los – mit solchen Erfahrungen bin ich oft aus dem Museum und habe gedankenvertieft meinen Heimweg nach Schwabing zu Fuß genommen, um nochmals über das Eine oder Jene zu sinnieren. Die schöpferische Kraft, die ein Künstler zu Tage legt zeigt, dass der Ausdruck des Gemalten ein Teil seiner eigenen Realität wird und die eigene Kreativität anregt, gar neue Wege aufmacht.
Kunst kann man nicht wirklich in Worte fassen, man muss es spüren und erfahren. Sie hat etwas Mystisches mit ihren Formen und Farben.
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Der Blaue Reiter bestand angesichts der Entwicklungen des künstlerischen Schaffens und der Zerwürfnisse in der Künstlervereinigung (1908-1914) für W. Kandinsky aus Franz Marc und ihm selbst. Dennoch haben Jawlensky, Münter und weitere Künstler ihren wesentlichen Teil dazu beigetragen.

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