"Identität" aus der Sicht der Wissenschaft - Teil 1
Ich verstehe unter "Identität" diejenige Integrationsleistung des menschlichen Bewusstseins, (...) Identität meint eine Selbstbehauptung von Subjekten in der Vergesellschaftung mit Anderen. Diese Selbstbehauptung lässt sich als Kampf um Anerkennung im Wechselspiel zwischen Fremd- und Selbstzuschreibung beschreiben . (Friedrich Schiller)
Zum Thema Identität und Zugehörigfühlen habe ich mir mein ganzes Leben hindurch schon viele Gedanken gemacht, da man mit meinem Migrationhintergrund vielen Gefühlen ausgesetzt war und oft nicht wusste, wie ich eine Brücke zwischen Ost und West schlagen soll.
Sich Fremdfühlen war ein Dauergast von Gefühlen in vielen Situationen, also habe ich mich oft mit den Thesen aus der Psychologie und Philosophie beschäftigt, um mir diesen inneren Kampf erklären zu können.
Wie ich an das Thema Identität herangegangen bin und welche Gedanken ich mir dazu gemacht habe, könnt Ihr in diesem kurzen Essay lesen, der vor allem meine wichtigen Quellen und Inspirationen zusammenfasst:
Identität ist kein statisches Merkmal, das jemanden bei der Geburt zugesprochen wird, sondern ein dynamischer Vorgang, der sich mit dem Bewusstsein des Menschen ändert, vor- und zurückschiebt und ein Wechselspiel zwischen „dazugehören“ und „isolieren“ ist.
Der Begriff Identität ist eine Kombination von persönlichen und individuellen Eigenschaften, welche eine Persönlichkeitsstruktur bilden.
Identität stellt einerseits die ganz persönliche unverwechselbare Note des eigenen Daseins dar und andererseits, wie es auch schon im Terminus impliziert ist, sich „identisch“ fühlen, das heisst sich mit einer Gruppe/Gemeinschaft/Gesellschaft zu identifizieren.
Der Philosoph Lothar Krappmann definiert Identität als eine Eigenschaft, die nur dem Individuum zukommt, welches sie von den anderen unterscheidet.
Der Psychoanalytiker Erik H. Erikson nimmt die individuelle Identität als Ich-Identität auf. Bevor man diese Stufe erreicht, macht man in der Adoleszenz Phase eine Identitätskrise durch, in der man vor die Aufgabe gestellt wird, eine kontinuierliche Orientierung im ethnischen, sozialen und physischem Raum zu verschaffen.
Der Kernpunkt bei der Theorie von Erikson ist, dass man zur selbstständigen Lebensführung im Stande ist, an der sich auch die anderen Individuen orientieren können.
Habermas dagegen geht mehr auf den kollektiven Begriff der Identität ein, der erst in Interaktion mit den anderen entsteht.
George Herbert Mead dagegen geht über diese Theorien hinaus und sagt, dass Vorraussetzung zur Bildung der Identität ein gesundes Selbst-Bewusstsein ist.
Untersucht man nun die ethnische Identität einer Einwanderungsgesellschaft, so stellt man fest, dass verschiedene ethnische Gruppen gleichzeitig nebeneinander leben, sich überlappen, ineinander eingehen und zwischen Tradition und Moderne wechseln. In diesem gesellschaftlichen Lebensentwurf kommen auch hybride Kulturmuster auf, die eine Mischform darstellen. Ethnische Identitäten entstehen nicht nur durch Importe heimatlicher kultureller Güter, sondern durch das Aufnehmen und Einmischen der vorgefundenen gesellschaftlichen und kulturellen Existenz, wobei es zu Wechselwirkungen kommt und ein neues ethnisches Bewusstsein erweckt wird.
Wie man oben in dem Einleitungstext von Friedrich Schiller lesen kann, spielt das Geschichtsbewusstsein eine große Rolle beim Finden der eigenen Identität. Schiller sagt, dass das Geschichtsbewusstsein eine diachronische Dimension hat:
„Menschen sind als Subjekte nur lebens- oder handlungsfähig, wenn sie sich als Dauer im Wandel der Zeit wissen. Zu eben diesem Wissen verhilft ihnen das Geschichtsbewusstsein. Es schließt im Medium der Erinnerung Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in die Einheit einer Zeitverlaufsvorstellung, einer Kontinuitätsvorstellung, zusammen.“
Er bringt es auf dem Punkt, indem er festlegt, dass „die Erfahrung der Vergangenheit zur Orientierung der aktuellen Lebenspraxis systematisch erschlossen werden kann.“
Folgt man diesem weiten Verständnis, so wird klar, dass sich gewisse Migrationsgruppen an die Geschichte, Migrationsgeschichte und Mythologie lehnen und so ihr eigenes Bewusstsein für ihre Identität aufbauen.
In diesem Artikel bin ich erstmal nur auf die verschiedenen Thesen von Schiller, Erikson und Kampmann eingegangen. Die weitere Ausführung, wie man dieses Bewusstsein aufbaut und was eine Verneinung und Nicht-Reflexion des Geschichtsbewusstseins bedeutet, werde ich in dem nächsten Artikel erläutern.
Ich freue mich auf Kommentare und Feedback.

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